Begegnung mit einer Legende
Rod Hutchinson
Nach einer ausgiebigen Dusche sitze ich gegen acht Uhr am Frühstückstisch und lasse mich mit einem original-englischen Frühstück verwöhnen: Würstchen, sliced Bacon und Ham & Eggs; dazu Kaffee und Orangensaft, herrlich!
Pünktlich wie die Feuerwehr erscheint Rod im Breakfast-Room. Die Begrüßung ist kurz, aber herzlich. Wir kennen uns nun seit 20 Jahren und so ist schnell wieder ein intensives Gespräch entfacht. Nachdem ich vom englischen Frühstück nun wirklich nichts mehr verdrücken kann, setzen wir das Gespräch bei einem weiteren Kaffee im Pub fort. Doch wir haben beide keine Ruhe mehr und wollen nun ans Wasser. Vor dem Pub sagt Rod mir, ich solle vielleicht ein Foto von diesem Pub machen, denn dies sei eine geschichtsträchtige Stätte: vor über 50 Jahren wurde hier der berühmte Londoner „Carp Catcher Club“ gegründet. Eines seiner Gründungsmitglieder, Maurice Ingham, war hier damals der Gärtner des Pubs. Und so entschloss man sich, die Gründung des legendären Clubs hier abzuhalten, zumal eines der damals wenigen Karpfengewässer Englands in der Nähe liegt: der berühmte Woldale-Pool.

Der eigene See
Die Fahrt zu Rod’s eigenem Gewässer „Dolly Mill“ unterbrechen wir nur kurz, um im Supermarkt noch etwas Milch für den Tee zu kaufen. Auf einer schnurgeraden Landstrasse biegt Rod plötzlich links ab, fährt über das Gelände einer Gärtnerei weiter durch ein paar Felder, bis wir an einem Zaun ankommen. Nach dem Öffnen des Tores fahren wir direkt zur Hütte am See, die in der Mitte dieses lang gestreckten Gewässers liegt. Hier befindet sich auch eine kleine Insel, die auf beiden Seiten lediglich durch einen jeweils 5 Meter breiten Durchgang vom eigentlichen Ufer abgetrennt ist. Gesäumt von einem Gürtel kleiner Seerosen ergibt dies einen einladenden Anblick. Insgesamt mag der See vielleicht 1,5 ha groß sein, für englische Verhältnisse also genug Platz für etwa zehn Angler… Wir sind jedoch völlig allein hier. Der Pool ist momentan stark verkrautet, aber es bleiben noch genug markante Freistellen. Bei einem ersten Rundgang können wir einige Karpfen an flachen Stellen und im Kraut liegend beobachten. Voller Stolz erzählt mir Rod, dass hier die drei größten Schuppenkarpfen Lincolnshires’ herumschwimmen, alle drei Fische haben über 35lb. Der größte Fisch hier im See ist jedoch ein Zeilenkarpfen. Bei dem Stichwort werde ich hellhörig, denn Zeilenkarpfen sind bekanntlich bei uns in Deutschland ja bei weitem nicht so verbreitet wie in England. Nach dem Rundgang bauen wir unser Equipment an zwei verschiedenen Stellen auf, wobei mir der englische Gentleman den Vorrang bei der Stellenwahl lässt. Ich nehme dies dankend an und entscheide mich für den oberen Teil des Sees. Dort, unter einer Trauerweide, gibt es laut meinem Gastgeber eine größere Sandbank. Etwas weiter links, vor einem Seerosenfeld, taucht wieder eine Sandbank auf. Ich verteile meine drei Ruten jeweils an den Rand der markanten Freiflächen und füttere dort eine Handvoll von Rods selbstgerollten Boilies an.
Nach getaner Arbeit treffen wir uns vor seiner Angelhütte auf einen Drink. Ich habe ihm einen bekannten deutschen Weinbrand mitgebracht und den testen wir erst einmal an. Die Einladung zum gemeinsamen Fischen hat auch einen seriösen Hintergrund: ich möchte mit Rod ein Interview über die wichtigsten Stationen im Leben des wahrscheinlich bekanntesten Karpfenanglers führen.

Im Gespräch mit Rod Hutchinson
Michael: Rod, erzähle unseren Lesern bitte einmal, wie Du mit dem Karpfenangeln begonnen hast.
Rod: Also, meinen ersten Karpfen fing ich eher zufällig, das war im Jahr 1959, da war ich gerade einmal 15 Jahre alt. Heutzutage mag das nicht so leicht zu verstehen sein, aber damals gab es in England nur sehr wenige Gewässer, die mit Karpfen besetzt waren. Folglich wurde ich auch nicht direkt zum Karpfenangler. Aber zwei Jahre später, also 1961, erzählte mir ein anderer Angler von einem Gewässer, in dem es Karpfen geben soll. Dieses Gewässer ist gar nicht weit weg von hier, nur etwa zehn Kilometer weiter. Der See wird Plaintree Pool genannt. Hier fischte ich zum ersten Mal gezielt auf Karpfen. Mit den Jahren gab es mehr und mehr Gewässer, die mit diesem tollen Fisch besetzt waren und so wurde es mit der Zeit immer einfacher, gezielt auf ihn zu angeln. Aber zu jener Zeit musste man erst einmal ein Gewässer mit Karpfen finden und sich dann durch die enorme Anzahl anderer Friedfische hindurchangeln. Zunächst habe ich jedoch auf Rotaugen, Barsche, Hechte und Schleien geangelt. Speziell die Schleien hatten es mir angetan. Da sie, genau wie Karpfen auch, hauptsächlich am Boden fressen, war der Schritt zum Karpfenangeln dann nicht mehr weit.

Michael: Einige Jahre später warst Du einer der Pioniere des Angelns mit Partikelködern. Du hast zu dieser Zeit sehr viele Karpfen im berühmten Redmire Pool damit gefangen. Benutzt Du auch heute noch regelmäßig Partikelköder?
Rod: Ich bin erst letzte Woche von einem Frankreich-Trip zurückgekommen. Ich musste mich auf diesem Trip wirklich zwingen, mit Boilies zu fischen. Weißt Du, ich fahre schon seit 1982 regelmäßig nach Frankreich zum Fischen und ich habe immer mit Partikelködern gefischt. Dabei habe ich meist einfache Partikelköder wie Mais und Maple Peas benutzt, an den großen Gewässern mit hohem Krebsbestand auch Tigernüsse. Die letzten beiden Jahre habe ich alle Karpfen in Frankreich auf künstliche Maiskörner gefangen. Und in diesen zwei Jahren fing ich 7 Karpfen über 40lb. In Frankreich, es ist also nicht so, dass man mit Partikelködern nur kleine Karpfen fängt. Ich benutze auch vielfach den süßen Mais aus der Dose, den ich über einen Teppich Grundfutter streue. Ich fange nun einmal gerne regelmäßig Fisch und dies ist eine hervorragende Methode. Ich versuche immer das zu fischen, was die Karpfen wollen. Das einzige Geheimnis beim Partikelfischen ist die Wassertemperatur. Partikel sind erst bei einer höheren Temperatur sinnvoll, wenn das Verdauungssystem der Fische auf Hochtouren arbeitet. Daher benutze ich Partikel erst ab Mai bis etwa Ende September.
Michael: Wie Du eben schon gesagt hast, fischt Du seit 1982 in Frankreich. Wie bist Du dabei auf den heute weltbekannten Cassien gestoßen?
Rod: Nun, da war definitiv ein wenig Glück mit im Spiel! Ich war schon früher regelmäßig in Frankreich und habe in der Bretagne Familienurlaub gemacht. Trotzdem hatte ich meine Ruten immer mit. Gemessen an englischen Verhältnissen haben wir dort unglaubliche Mengen großer Fische gefangen, so fingen wir in einem Urlaub, ich glaube es war 1994, 250 Fische über 20lb und davon 34 über 30lb. Diese Gewässer waren absolut unberührt und man hatte vollkommene Ruhe. Eines Tages bekam ich Post von einem Bekannten, der sich auf andere Fischarten spezialisiert hatte. Er war ebenfalls in Frankreich zum Fischen gewesen und schickte mir in seinem Brief einen kleinen Zeitungsausschnitt, den er aus einer französischen Tageszeitung herausgerissen hatte. In diesem kleinen Artikel stand: “80lb Karpfen im Lac de St. Cassien gefangen!“ Wir wussten zu dieser Zeit nicht, ob das stimmte, aber ich beschloss, es im selben Jahr im Juni einmal auszuprobieren. Unvorstellbar für heutige Karpfenangler, aber ich hatte den gesamten Cassien für mich allein! Das war mit Abstand das größte Gewässer, das ich damals je befischt hatte und viele Menschen fragen mich noch heute: wie hast Du die Fische dort gefunden? Nun, ich bin einfach die Straße entlang des Sees gefahren und habe gewartet, bis ich einen Fisch springen sah!
Wir hatten zwei wundervolle Jahre 1984/85 dort, aber wie es immer so ist: wenn du über deine Erlebnisse und Fänge berichtest, lässt es sich nicht vermeiden, dass das Gewässer bekannt wird. Als ich dann eines Tages morgens aufwachte, rechts und links von mir Karpfenangler sah und ich nicht mehr so fischen konnte, wie ich wollte, war der Traum für mich vorbei. Ich war zwar seitdem noch mehrfach am Cassien, aber dann immer im Winter, wenn es etwas ruhiger war.

Michael: Ich weiß, dass Du auch eine Vorliebe für den Lac de la Foret ’d Orient hast. Was macht diesen See für Dich so speziell?
Rod: Oh, jeder weiß, dass dort dicke Fische schwimmen, aber das ist es nicht. Der Orient war der einzige See, den ich vier Jahre in Folge beangelt habe. Es war immer ein Abenteuer, dort auf 300m Abstand zu fischen und dann bei schlechtestem Wetter mit dem Boot herauszufahren. Immer die Gefahr im Nacken, die Wellen spritzten über den Bug und Du hast nur noch gebetet! Gleichzeitig hast Du aber auch immer gehofft, schlechtes Wetter zu bekommen, um eine reelle Chance zu haben. Wir waren einmal dort, als zur selben Zeit ein Sturm, der von Frankreich kam, im Süden Englands jede Menge Bäume entwurzelt hat. Es war einfach ein Abenteuer und auch ein Spiel mit der eigenen Angst, bei diesen Wetterbedingungen an diesem großen See zu fischen. Es war mir leider nicht vergönnt, den berühmten Bulldozer zu fangen, aber wir haben jede Menge großer Fische gelandet. Eines Tages werde ich dorthin auch noch einmal zurückkehren. Leider ist der Platz für Angler an diesem See sehr begrenzt, viele Leute fischen hier auf engstem Raum. Ich möchte unter diesen Umständen aber nicht irgendwo fischen müssen, wo ich mich normalerweise niemals hinsetzen würde. Dann fahre ich lieber zu einem anderen See.

Michael: Du hast schon immer eine Hauptrolle auf dem Gebiet der Flavours gespielt. Eine Menge Leute meinen jedoch, dass sie überflüssig sind. Kannst Du uns schildern, warum Du deren Einsatz von Flavours für sinnvoll hältst?
Rod: Ein sehr guter Freund von mir, der das Boilie-Spiel ins Rollen brachte, Fred Wilton, sagte immer, dass Flavours dem Köder ein gewisses Label geben, so dass der Fisch erkennt, dass es sich hierbei um Nahrung handelt. Gibt man dem Karpfen gute Nahrung als Köder, so wird er immer wieder kommen, und Flavours helfen, diese Nahrungsquelle als solche später wieder zu erkennen. Allerdings habe ich auch ein anderes Beispiel, ein See ganz in der Nähe hier, an dem am Wochenende sehr viel geangelt wird. Ich habe an diesem See immer zwei Tage in der Woche gefischt und zwar montags und dienstags. Ich habe die Fische dort oft beim Springen beobachtet und wusste genau, dass sie über den Futterteppichen der Angler vom Wochenende sprangen. Da das meiste Futter freitags abends ins Wasser kommt, waren die Köder bis Montag schon stark ausgewaschen. In dieser Situation habe ich dann neutrale Köder gefischt und auch sofort Fische gefangen. Ich denke, alles hat seinen bestimmten Einsatzbereich, aber wenn ich an einem neuen Gewässer anfange, würde ich immer zunächst geflavourte Köder benutzen.
Michael: Du bist ja hauptsächlich bekannt wegen Deiner Köder, warst aber zum Beispiel auch der Erste, der ein Zelt der heutigen Generation auf den Markt brachte. Schaut man sich Deinen aktuellen Katalog an, bist Du auch heute noch ein Trendsetter auf dem Gerätemarkt. Machst Du das alles alleine oder gibt es da ein Team im Hintergrund?
Rod: Sicherlich gibt es ein kleines Team, über die Jahre hinweg in wechselnder Zusammensetzung, das mich unterstützt. Es war aber auch oft genug einfach Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Damals war ich zum Beispiel auch der Erste, der eine Kohlefaser-Karpfenrute angeboten hat. Das kam so: ich war in einem damals sehr bekannten Angelgeschäft von Alan Brown, als Peter Thomas, ein Freund von Richard Walker, in den Laden kam und einen Lachsfliegenruten-Blank mitbrachte. Ich sah mir den Blank an und dachte mir, dass man daraus eine tolle Karpfenrute machen könne. Aus dieser Idee entstand meine erste Carbon-Karpfenrute, die “Big Pit Special“. Der Lachsrutenblank wurde von mir im Handteil um 2 ft. verlängert, so dass man eine 12 ft. Rute hatte. Diese Rute war hervorragend zum Anschlagen und Werfen, allerdings zum Drillen ungewohnt hart und die zweite Generation, die “Horizon“, wurde dann etwas weicher. Im Gegensatz zu den damals üblichen 10 ft. Glasfaserruten habe ich mit den neuen Ruten keinen Fisch mehr beim Anschlag verloren. Die Glasruten waren nämlich sehr weich und träge, man bekam den Anschlag auf größere Distanzen kaum durch und verlor so etwa 10% der Fische.

Michael: Sag’ mal Rod, bezüglich Deines persönlichen Angelns: gehst Du heutzutage noch viel Fischen?
Rod: Leider nicht soviel, wie ich es gerne tun würde, aber mir bleibt einfach nicht die Zeit dazu, wie ich es früher machen konnte. Ich erlaube mir aber jedes Jahr meine zwei bis drei Abenteuer in Frankreich und versuche immer noch, meinen Personal Best zu verbessern. Hier in England gehe ich nicht mehr so intensiv auf Karpfen. Da gehe ich schon viel lieber auf andere Fischarten, z.B. Rotaugen oder Barsche, da musst du nicht den ganzen Kram mitschleppen, brauchst kein Zelt und kannst auch einfach mal für ein paar Stunden fischen gehen. Aber wenn die Wetterbedingungen stimmen, der Wind aus der richtigen Richtung weht und mich das Gefühl überkommt, dann gehe ich auf Karpfen! Mit der wenigen Zeit, die ich zur Verfügung habe, ist es für mich jedoch schwierig, hier in England auf große Karpfen zu fischen, denn die ganzen Großfischgewässer Englands befinden sich am anderen Ende des Landes, in Südengland.
Michael: Nach vielen Jahren hast Du Deinen Personal Best noch einmal verbessern können, mit einem Fisch von 61lb 8oz. Nach dem Grinsen in Deinem Gesicht auf dem Foto zu urteilen, war dies ein glücklicher und stolzer Moment für Dich. Erzähle uns bitte etwas über diesen Fang!
Rod: Ja, richtig, ich war glücklich und stolz, aber eigentlich noch viel mehr erstaunt! Ich befischte ein Gewässer, von dem ich wusste, dass ein paar wirklich schöne Fische drin sind. Mit meinem Freund Mally hatte ich bis dahin Fische bis 48 lb gefangen. Bei diesem Trip waren unsere ersten drei Fische 48, 49 und noch einmal 49 lb. So weit wir wussten, gab es nur einen einzigen sehr großen Fisch in diesem See, der wahrscheinlich meinen Personal Best übertreffen würde. Ich bekam einen weiteren Biss in diesem wirklich tiefen Gewässer. Der Fisch war sehr stark und blieb sehr tief, so dass ich dachte, er wäre vielleicht in der Seite gehakt. Irgendwann war er dann an der Oberfläche. Und wie Du siehst, habe ich ein grünes Keschernetz. Der Fisch schwamm von selbst in das Netz! – Ich glaube, er hat es für ein Krautbett gehalten! Als ich dann das Keschernetz nur mit beiden Händen anheben konnte, dachte ich, es sei der bekannte Große. Es war jedoch ein unbekannter Fisch und meine Freude war noch viel größer!
Michael: Was hältst Du von der heutigen Entwicklung in unserem Hobby, speziell in Bezug auf die englischen Vollzeitangler?

Rod: Ich wollte nie jeden Tag in der Woche fischen. Aber heutzutage gibt es jede Menge Jungs, die professionellen Karpfenangler, sie schreiben Artikel und leben von ihrem Angeln. Wenn es das ist, was sie tun möchten, sollen sie es tun. Ich mag es lieber, irgendwann nach Hause zu gehen und es nicht abwarten zu können, wieder am Wasser zu sein. Redmire und Savay waren Syndikatsgewässer, an denen du nur alle zwei - beziehungsweise Redmire nur alle drei Wochen - angeln durftest. Und das war wundervoll, denn du bist nach Hause gefahren und hast dir die ganze Zeit Gedanken gemacht, was du beim nächsten Mal besser machen wirst. Das ist auch eine Parallele für mich zum Orient. Auch hier sind wir zurück nach England und haben auf dem Rückweg schon wieder Pläne für den nächsten Trip geschmiedet!
Und das ist der Vorteil: du bist immer schon gespannt auf das nächste Mal und du fischst wesentlich konzentrierter.
Michael: Was können wir in nächster Zukunft denn von der Marke Rod Hutchinson erwarten?
Rod: Ich bin nun seit 27 Jahren mit meiner Köderfirma auf dem Markt und beliefere auch einige der Topfirmen mit Flavours und anderen Additiven. Da wird es in Zukunft einige interessante Neuigkeiten geben, speziell im Bereich Flavours und Mixe. Ich habe seit kurzem auch die Möglichkeit, neue Zutaten zu liefern und somit auch neue Basismixe herzustellen. Auf dem Gerätesektor werde ich versuchen, die Karpfenruten weiter zu entwickeln. Ich habe da schon eine Idee, die aber noch umgesetzt werden muss.
Michael: Herzlichen Dank, Rod, für dieses Interview und ich hoffe, Du fängst diese Nacht noch einen Guten, Cheers!
Rod: Ich hoffe, wir fangen vorher noch einen! Ich gehe jetzt erstmal ein paar PVA-Säcke binden, damit ich das nicht nach unserem Pub-Besuch tun muss!
Ein perfektes Ende
Nachdem Rod seine PVA-Bags gebunden hat, sitzen wir auf der Bank bei einem Gläschen deutschen Weinbrands zusammen und fachsimpeln, bis es dunkel wird. Nun wird es Zeit für den Pub. Mir hängt der Magen durch bis zu den Kniekehlen und ich hoffe, dort auch feste Nahrung zu mir nehmen zu können. Nur noch schnell die Ruten einholen und zwei Minuten später sind wir auch schon da.
Im Pub wird Rod herzlich begrüßt und man reicht uns, nach Bestellung des ersten Pints, hurra, die Speisekarte. Da hab’ ich ja noch mal Glück gehabt! Wie es sich gehört, nehmen wir Fisch & Chips, dazu ein weiteres Pint. Das Essen ist trotz des schlechten Rufs richtig lecker, auch wenn man über die Beilage von Erbsenpüree geteilter Meinung sein kann. Ein abschließendes Bier und wir verlassen den geselligen Ort.

Zurück am See werden die Ruten neu ausgeworfen, klarer Heimvorteil für Rod, denn ich habe im Dunkeln so meine Schwierigkeiten, die krautfreien Stellen am gegenüberliegenden Ufer zu finden. Die Nacht ist noch jung, die Flasche Weinbrand muss herhalten. Und so entwickelt sich ein lustiges Gespräch bis tief in die Nacht. Um halb drei entschließen wir uns dann, ein paar Stunden zu schlafen. Ich falle in meinen Bedchair und bin auf der Stelle weggetreten. Im Unterbewusstsein registriere ich leichten Regen auf der Zeltwand. Am nächsten Morgen werde ich gegen halb acht von einem hektischen Bissanzeiger zurück in die Realität befördert. Es ist ein kleiner, dunkler Schuppenkarpfen von vielleicht 5 Pfund. Aber es ist mein erster englischer Karpfen! Der Regen hat sich in der Nacht verzogen, die Sonne strahlt mich an. Rod scheint noch zu schlafen und so sacke ich den Kleinen kurzfristig, um ihn später von ihm fotografieren zu lassen.

Um halb elf packen wir ein, denn wir sind gegen zwölf Uhr in einem Pub in Rod’s Heimatort mit der restlichen Familie Hutchinson und Freunden zum Roastbeef essen verabredet. Nach einer halben Stunde Fahrt über hügeliges Land mit typisch englischen Feldern, die mit Hecken abgegrenzt sind und wundervoll geschwungenen kleinen Strassen erreichen wir den Ort, an dem Rod lebt. Wir schauen noch kurz bei Rod’s Bait Company vorbei, weil er sich nicht sicher ist, ob er Tage zuvor alle Türen abgeschlossen hatte (typisch Rod!) und treffen kurz vor zwölf bei ihm zuhause ein. Seine Frau Coral und sein Freund Tim begrüßen uns herzlich. Nach einer stärkenden Tasse Kaffee fahren wir gemeinsam in den Pub. Hier treffen wir auf weitere Freunde von Rod und eine seiner Töchter. Alles läuft hier sehr familiär ab und der Pub scheint hier tatsächlich ein Treffpunkt aller Dorfbewohner, egal ob jung oder alt, männlich oder weiblich zu sein. Hier wird Billard und Dart gespielt, gegessen und getrunken und vor allem: geredet, jeder mit jedem. Ich bin sofort aufgenommen in die Gemeinschaft, man fragt interessiert, woher ich komme, ohne neugierig zu sein. Ein Stück heile Welt, so scheint es mir. Das Essen ist wieder einmal vorzüglich und ich frage mich, ob der schlechte Ruf des englischen Essens eventuell ausschließlich der Londoner Küche zu verdanken ist. In der Vergangenheit hatte ich dort diesen schlechten Ruf nur bestätigen können.

In Gesprächen mit Rod’s Freunden und Verwandten erfahre ich, dass Rod früher einmal heimlich zur See gefahren ist. Er musste es seiner Mutter verheimlichen, da sein Vater und ein Bruder von einem Fischzug nicht mehr heimgekehrt sind. Auch andere interessante Geschichten bekam ich zu hören: so war Rod später einmal Bassist in der Band von Van Morrison gewesen. Und seine Boxerkarriere hat er zu Gunsten des Karpfenangelns aufgegeben. Der Mann scheint ein Multitalent zu sein!

Den Nachtisch lasse ich ausfallen, denn ich bin pappsatt vom Roastbeef. Wir fahren zurück zu Rod’s Haus, denn ich muss mich auf den Weg zum Flughafen machen. Ich hole meine Sachen aus Rod’s Pick-up und frage ihn dabei, ob ich seine Angelsachen auch schnell ausladen helfen kann. “Oh, no“, sagt er, “it lives there!“ So ist er halt…
Von Michael Flosdorf